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Ein detektivisches Dokumentarprojekt
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Der Musiker Willi Heckmann

lyrischer Tenor, Pianist, Akkordeonist

Dass Willi Heckmann ein hochtalentierter Sänger war, hatte seine Familie früh erkannt. In der Kaiserzeit betrieben seine Eltern die Gaststätte „Zum Deutschen Sänger“ – mit Pensionszimmern und Saal im Zentrum der westfälischen Stadt Altena. Der Vater veranstaltete dort mit seinen 4 Söhnen regelmäßig musikalische Darbietungen zur Unterhaltung der Gäste. Fernsehen war noch unbekannt, das Kino steckte erst in den Anfängen. Männerchöre erfreuten sich großer Beliebtheit. So auch in dieser Gaststätte, in der der Wirt mit seinen Söhnen selbst auftrat. Vor allem die „glockenreine Stimme“ des jungen Willi fiel den Leuten auf. In dieser Zeit hatte sich Willi, der jüngste der 4 Brüder, bereits den Weg eines Berufsmusikers ausgedacht.

Dann der Erste Weltkrieg. Willi musste zunächst zum Vaterländischen Hilfsdienst, dann 1918 zur Front nach Frankreich, von da ins Lazarett. Er überlebte. Bald nach dem Krieg bewarb er sich im Städt. Konservatorium in Hagen/Westfalen, studierte dort 2 Jahre lang Piano und Gesang, und bestand 1923 die Abschlussprüfung. Er begann seine Karriere als Musiker und Sänger. Er gründete eine Musikgruppe und trat öffentlich als Tenorsänger auf, unter anderem auch in der Synagoge seiner Heimatstadt Altena. Nebenher begleitete er auch Stummfilme am Piano – im Gasthof seines Vaters, im Gasthof Wicke und später auch im „Zentralkino“.

In der Weimarer Zeit dürfte seine Musikalität ein hohes Niveau erreicht haben. Vor allem seine anspruchsvolle reine Tenorstimme und sein gekonntes Klavierspiel verhalfen ihm zu zahlreichen Auftritten in der Region und mehreren deutschen Großstädten. Ein erster Erfolg führte ihn mit einem Orchester für 2 Jahre ( 1925 bis 1927) sogar in die Schweiz nach Zürich, Schaffhausen und Lugano. Derzeit noch weniger bekannt, bewirbt er sich in der Musikerfachzeitschrift „Der Artist“ (5.8.1927) als vielseitiger „Stimmungspianist“:

Willi Heckmann - Stimmungspianist

Willi Heckmann - Stimmungspianist

Dann nach Rheydt, Düsseldorf, Stuttgart, Gotha und Berlin (1929-1930). Seine „Goldenen Zwanziger Jahre“. Er trat als „Sänger am Flügel“ mit Opernarien und Chansons, später mit den neu aufkommenden „Schlagern“, mit umfangreichem Repertoire auf. Seine Notensammlung ist noch erhalten geblieben.

Nach der Weltwirtschaftskrise und der Machtübernahme der Nazis drängte die NS-Regierung energisch auf Linie. Die Reden des Joseph Goebbels, die Einrichtung der Reichsmusikkammer mit Zwangsmitgliedschaft und Kontrolle der Berufsmusiker und die neue Musikerzeitschrift „Das Deutsche Podium, Kampfblatt für Deutsche Musik“ –

Das Deutsche Podium

Das Deutsche Podium (1936)

alle zielten nun auf Gleichschaltung der Musiker unter völkisch-rassistischem Blickwinkel und Ausgrenzung so genannter „Entarteter Musik“ . In diesen Jahren wurden etwa 8000 jüdische Musiker aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen, während Heckmanns Musikauftritte offenbar ins Kulturkonzept der Goebbels-Linie passten. Ab 1934 hob die erwähnte Fachzeitschrift Heckmann´s Musik mehrfach lobend hervor, so auch über seine Tätigkeit im Münchener Café Gottschalk:

„…Dezent passt er sich dem Publikum an und hat sich im Laufe der vielen Monate in diesem Engagement einen großen Stamm von Freunden und Gönnern gewonnen. Er spielt abwechselnd Flügel und Akkordeon und wir erwähnen an gehörten Piècen: „Rigoletto“, „Wie eiskalt ist dein Händchen“ aus der Oper La Bohème, eine Unmenge von Chansons, Schlager-, Rhein- und Stimmungslieder und keineswegs wollen wir auch die verschiedenen Opernarien und Operettenauszüge zu nennen vergessen, die Heckmann mit feindurchgebildeter Tenorstimme zum Vortrag brachte.“
(In: Das Deutsche Podium, Nr. 31, 1935)

Offenbar passte Willi Heckmanns Musikprogramm gut in die völkischen Vorstellungen der Nazi-Politiker. Was ihm allerdings nichts mehr nützte, als er plötzlich von der GESTAPO abgeholt und „weggebracht“ wurde. Im Frühsommer 1937 hatte er nach Auftritten in Stuttgart und Partenkirchen ein weiteres Engagement in Passau – in der „Regina-Diele“. Am 29.7.1937 wurde er zur Gestapozentrale nach München verfrachtet. Man verhaftete ihn, wie er später zu Protokoll gab, ohne akuten Anlass und ohne Justizverfahren: Einweisung ins KZ Dachau – „wegen Paragraph 175“ (dem Homosexuellen-Paragraphen) zur „Schutzhaft“.
Die Karriere seiner öffentlichen Auftritte endete abrupt. Nach fast 2 Jahren im KZ Dachau wurde er 1939 ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Trotz schwerster Arbeiten im Steinbruch konnte er sich dort als Musiker bemerkbar machen, hat zunächst mit einem Trio für SS-Angehörige und die Lagerleitung musiziert, dann das sog. „Zigeunerorchester“ angeleitet und später beim großen Lagerorchester als Harmonikaspieler und Schlagersänger mitgewirkt. Und durch diese Sonderrolle vermutlich sein Überleben gesichert.
Nach der Befreiung des Lagers 1945 spielte er bei der amerikanischen und der englischen Besatzungsarmee. Bald danach versuchte er in Altena wieder als Berufsmusiker Fuß zu fassen, gründete eine Kapelle und erhielt 1947 offiziell wieder die Musikerlizenz. Die Nachwirkungen der langjährigen KZ-Haft müssen ihm allerdings sehr zugesetzt haben. In seinem Antrag auf Wiedergutmachung formulierte er 1954:

„… Ich, der ich als Musiker nie schwer körperlich gearbeitet habe, musste in Mauthausen nachweislich 5 Jahre im Steinbruch arbeiten. Daher habe ich noch ständig unter Rheuma und Nervenentzündungen in den Schulter- und Armgelenken zu leiden, was mich in der Ausübung meines Berufes stark behindert …“

In der Nachkriegszeit spielte er als Alleinunterhalter in verschiedenen Hotels und Restaurants im Sauerland, Rheinland, dem Moselgebiet und dem Alpenvorland. Aber es gelang ihm nicht mehr, an seine Vorkriegserfolge anzuknüpfen. Sein Antrag auf Wiedergutmachung wurde 1960 abgelehnt mit der Begründung, dass diese Entschädigungen für Homosexuelle nicht in Frage kämen. Bis zu seiner Verrentung in den späten 60´ger Jahre wirkte er noch beruflich als Alleinunterhalter, führte dann ein zurückgezogenes Leben in Wuppertal, wo er 1995 starb.

von Klaus Stanjek
Potsdam-Babelsberg, Mai 2011


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